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Mossul ist der Super-Gau für Obamas Außenpolitik

Mossul ist der Super-Gau für Obamas Außenpolitik

Die Welt erinnert sich noch an jenen „Mission accomplished“-Moment, als US-Präsident George W. Bush im Mai 2003 in Fliegermontur auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ landete und den Krieg im Irak für beendet erklärte. Danach fing der Bürgerkrieg im Zweistromland erst richtig an, der unzählige Iraker das Leben kostete und in dem auch Tausende von amerikanischen Soldaten starben. Jenes „Mission accomplished“ hat Bush damals viel Spott und Kritik von Barack Obamas Demokraten eingehandelt – selbst Jahre später noch, als Bushs einsame Entscheidung zu der Truppenaufstockung und einer neuen Strategie im Kampf gegen die Aufständischen das Blatt tatsächlich gewendet hatte.

Nun erlebt auch Obama seinen „Mission accomplished“-Moment. Schließlich hatte er im Dezember 2011 in Fort Bragg anlässlich des Abzugs aus dem Irak eine Rede gehalten, in der er den „Moment des Erfolgs“ pries und behauptete, Amerika würde einen „souveränen, stabilen und selbstständigen Irak“ hinterlassen. Die jüngsten Geländegewinne der islamistischen Terrorgruppe Isis im Irak machen aber deutlich, wie viel von dem, was die Amerikaner dort unter hohem Blutzoll erreicht haben, wieder verloren gegangen ist. Mossul und die Provinzen Anbar und Ninive sind inzwischen in der Hand radikaler Islamisten. In seinem Bedürfnis, möglichst schnell aus dem Irak abzuziehen, und seinem Unvermögen, dem irakischen Premier Nuri al-Maliki ein Stationierungsabkommen abzuringen, hat der Präsident aufs Spiel gesetzt, was die Amerikaner dort in neun Jahren an Stabilisierung und Aufbauarbeit geleistet hatten.

Natürlich ist es nicht fair, allein den Amerikanern die Schuld an dem erneuten Zerfall des Irak zu geben. Der sektiererisch agierende Premierminister al-Maliki trägt eine gehörige Mitschuld am Siegeszug der Islamisten. Während die Amerikaner auf Versöhnung zwischen Sunniten und Schiiten gesetzt hatten, hat der Schiit al-Maliki alles getan, um die Sunniten wieder zu verprellen, statt sie einzubinden. Aber wenn Isis – die sich von al-Qaida abgespalten hat, weil sie selbst den Bin-Laden-Jüngern als zu radikal galt – nun nicht nur das syrische Raqqa beherrscht, sondern auch die zweitgrößte Stadt im Irak und wichtige Regionen im Norden, dann hat das eben auch mit amerikanischer Zurückhaltung zu tun. Obamas Strategie der Entflechtung von den globalen Krisen, die amerikanische Weltmüdigkeit und der Zerfall arabischer Staatlichkeit in der Region haben Vakuen geschaffen, die sich die unterschiedlichsten Terrorgruppen zunutze machen. In Syrien genauso wie im Irak, in Libyen oder anderswo.

Laut einer gerade veröffentlichten Rand-Studie hat sich die Terrorgefahr in der Welt in den vergangenen Jahren auf beunruhigende Weise erhöht. Während es im Jahr 2007 nur 28 salafistisch-dschihadistische Gruppen vom Schlage al-Qaidas gab, waren es 2013 schon 49. Die haben 2007 etwa 100 Anschläge ausgeführt, im vergangenen Jahr hingegen 950. Inzwischen sollen diese Gruppen über 44.000 bis 105.000 Aktive verfügen, doppelt so viele wie 2007. Die Zahl der Anschläge von mit al-Qaida verbündeten Gruppen hat sich sogar verdreifacht. Selbst das amerikanische Außenministerium musste in einem jüngsten Bericht einräumen, dass die Zahl der Terroranschläge seit geraumer Zeit stark steigt. Allein von 2012 bis 2013 wuchs die Zahl der Anschläge demnach von 6700 auf 9700. Etwa 18.000 Menschen kamen dabei ums Leben, 33.000 wurden verwundet.

Während man im Westen vor einigen Jahren gehofft hatte, die arabischen Revolutionen würden den Dschihadisten die gesellschaftliche Unterstützung und den Nährboden entziehen, ist das Gegenteil eingetreten. Die zerfallende Staatlichkeit in Libyen, auf dem Sinai oder in Mali bot den Terroristen die Möglichkeit, diese Länder als Operationsgebiet oder Ruheraum zu nutzen. Und der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien ist das beste Instrument, Kämpfer zu rekrutieren und Spenden für Waffen einzuwerben. Das Land ist zum neuen Afghanistan geworden – zum Anziehungspunkt und Trainingsgelände für die nächste Generation dschihadistischer Kämpfer, die die dort gewonnene Kampferfahrung dann auch anderswo einsetzen. Genau das ist jetzt im Irak passiert. Isis hat sich die porösen Grenzen zu Syrien zunutze gemacht und hat ursprünglich für Syrien geworbene Dschihadisten aus aller Welt im Nachbarland eingesetzt. Denn nach einem anfänglichen Siegeszug war Isis in Syrien auf erheblichen Widerstand vonseiten moderater Rebellen und der Kurden gestoßen. Das hat offenbar dazu geführt, dass die Organisation ihre inzwischen erhebliche Kampfkraft nun stärker auf den Norden des Irak konzentriert, wo ihr die irakische Armee wenig entgegenzusetzen hat. Zumal der (Öl-)reichtum Mossuls auch eine lukrative Beute darstellt.

Isis kann so ihr ersehntes „Kalifat“ errichten über ein ausgedehntes Territorium, das Teile Syriens und den Nordirak umfasst. Seit die Amerikaner die afghanische Symbiose von al-Qaida und den Taliban zerstört haben, ist keiner Terrorgruppe mehr so etwas gelungen. Und es wird noch mehr islamistische Radikale in der ganzen Welt dazu bringen, sich Isis anzuschließen oder die Organisation mit Geldspenden zu stärken. So gesehen war die Eroberung Mossuls auch ein gelungener PR-Coup.

Obama hat sich in der Außenpolitik stets als Anti-Bush positioniert, der die Fehler seines Vorgängers vermeiden wollte. Nun zeigt sich jedoch, dass es eben nicht reicht, nur kein Bush zu sein und „keinen blöden Scheiß machen“ zu wollen, wie es der Präsident gerade wieder als Maxime seiner Außenpolitik formuliert hat. Weil es neben Fehlern, die aus Hyperaktivismus entstehen, eben auch Fehler aus Unterlassung gibt, deren Folgen jedoch meist mehr Zeit benötigen, um sichtbar zu werden. Syrien gehört dazu, genauso wie die mangelnde Bereitschaft, Libyen stabilisieren zu helfen nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi. Ein Vorwurf, den sich Europa genauso machen lassen muss, das ja viel unmittelbarer von den neuen Terrornestern in seiner Nachbarschaft betroffen ist als die USA. Die neuen Terrorbrutstätten im Nahen Osten sind heute jedenfalls viel näher an den Nervenzentren des Westens, als es al-Qaida in Afghanistan je war. Wir sollten deshalb nicht erneut den Fehler machen, die Gefahr des globalen Dschihadismus zu unterschätzen.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin


Warum der Konflikt im Irak auch uns bedroht

Warum der Konflikt im Irak auch uns bedroht

Die rapide steigenden Ölpreise zeigen, warum es uns nicht egal sein kann was gerade im Nahen Osten passiert. Denn nun, da der Bürgerkrieg in Syrien auch auf den Irak übergegriffen hat, werden die Märkte nervös. Öl ist das Schmiermittel der Weltwirtschaft und deshalb eines der wichtigsten strategischen Güter überhaupt. Und nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur sollten bis Ende dieses Jahrzehnts etwa 60 Prozent des Zuwachses in der Erdölproduktion der OPEC-Staaten aus dem Irak kommen. Zwar befinden sich die wichtigsten irakischen Förderstätten im Süden in einem Gebiet, das fest in schiitischer Hand ist. Wie lange es aber dort ruhig bleiben kann, wenn der Rest des Landes brennt, weiß niemand.

Diese Entwicklung ist besorgniserregend vor allem für Europa, das wegen des neoimperialen Russland ohnehin ein Problem mit seiner Energieversorgung hat. In Moskau jedenfalls wird man sich freuen, wenn anhaltend hohe Energiepreise die Kassen des Kreml füllen und die außenpolitische Handlungsfähigkeit Europas gegenüber die russischen Aggressionen noch weiter einschränken.

Nach einem Jahrzehnt der Kriege in Afghanistan und Irak ist es verständlich, dass der Westen sich in den vergangenen Jahren erschöpft abgewandt hat von diesem muslimischen Krisenbogen, der von Marokko im Westen bis nach Pakistan im Osten reicht. Nun zeigt sich jedoch die anhaltende Gültigkeit einer alten Weisheit der Nahostpolitik: Du kannst diese Region ignorieren, aber sie ignoriert Dich nicht. Und wer es versäumt, Konflikte wie den in Syrien aktiv einzuhegen, wird später mit noch ernsthafteren Folgen konfrontiert, die zu bewältigen weit mehr Anstrengung kosten wird.

Im Nahen- und Mittleren Osten löst sich gerade die seit fast 100 Jahren bestehende regionale Ordnung auf. Und wir sollen uns im Klaren darüber sein, dass die zerfallende arabische Staatlichkeit auch uns bedroht – unsere Sicherheit vor Terroranschlägen genauso wie unseren Wohlstand.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

Iran – ein falscher Freund des Westens im Irak

Iran – ein falscher Freund des Westens im Irak

Der Nahe- und Mittlere Osten ist immer für Überraschungen gut. Eben noch standen der Iran und die USA etwa im Syrien-Konflikt auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden, auch der Streit um das iranische Atomprogramm hält weiterhin an. Doch dann fegt eine islamistische Terrorgruppe aus Syrien kommend durch den Nordirak und nimmt weite Gebiete dort ein – und Teheran und Washington finden sich in Sachen Irak auf derselben Seite wieder. Beide bemüht, die Regierung von Nuri al-Maliki gegen die Extremisten zu stützen.

Wer nun aber jubelt über diese neue Interessenallianz sollte sich lieber vergegenwärtigen, wie es zu dieser erneuten Eskalation im Irak kommen konnte. Im Jahr 2007 hatten die Amerikaner beschlossen, einen letzten Versuch zu unternehmen, die Lage nach der Invasion und dem anschließenden Bürgerkrieg doch noch unter Kontrolle zu bringen. Die Regierung von George W. Bush beschloss eine Aufstockung der Truppen, verbunden mit einer neuen Strategie der Aufstandsbekämpfung, die auf Präsenz vor Ort und Aussöhnung setzte. Und sie hatte damit tatsächlich Erfolg.

Bei den Wahlen im Jahr 2010 musste der einst von den Amerikanern mit in den Sattel gehobene schiitische Regierungschef Nuri al-Maliki dann erhebliche Verluste einstecken. Es gewann der dem Westen weit freundlicher gesinnte Ayad Allawi und seine die Konfessionsgrenzen überspannende Koalition. Aber anstatt Allawi zu helfen, eine Regierung zu bilden, kapitulierten die Amerikaner, die längst nach einem Notausgang suchten, vor der iranischen Einflussnahme. So ermöglichten sie al-Maliki, erneut eine Regierungskoalition zusammen zu stellen. Und der machte dann genau das, was seine Freunde in Teheran gewollt hatten: Er setzte seine anti-sunnitischen Säuberungen von Armee und Verwaltung fort und stieß die gerade erst erfolgreich befriedete sunnitische Minderheit vor den Kopf.

Vier Jahre später erntet al-Maliki, was er gesät hat. Denn der Erfolg der Isis im Norden wäre ohne die tatkräftige Unterstützung der von ihm verprellten sunnitischen Stämme und alter Saddam-Getreuen gar nicht möglich gewesen. Es ist also Vorsicht geboten, wenn nun überhastet die Allianz mit dem Iran ausgerufen wird. Teheran vertritt eine sektiererische, allein auf die Schiiten bauende Politik. Das ist genau die Logik, die den Irak nun abermals explodieren lässt.
Das derzeit stattfindende Schönreden einer Allianz mit Teheran im Irak erwächst – wie schon im Jahr 2010 – vor allem aus der Schwäche der USA und ihrer Unlust, sich weiter im Irak zu engagieren. Aber die Obama-Regierung  sollte nicht zweimal denselben Fehler begehen. Hilfe für Bagdad sollte deshalb an klare Bedingungen geknüpft werden. Denn nur wenn al-Maliki die Sunniten an Macht und Pfründen beteiligt, gibt es überhaupt eine Chance, dieses Land zusammenzuhalten. Gut möglich, das es dazu aber schon zu spät ist.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

Irak-Krise: Warum der Westen nicht immer an allem schuld ist

Irak-Krise: Warum der Westen nicht immer an allem schuld ist

Selbstkritik ist eines der Wesensmerkmale demokratischer Gesellschaften. Nur wer bereit ist, sich und das eigene Handeln infrage zu stellen, kann aus Fehlern lernen. Deshalb hebt jetzt wieder der Chor derjenigen an, die genau wissen, was der Westen alles falsch gemacht hat im Irak. Das Sykes-Picot-Abkommen von vor 100 Jahren (siehe P.S.), das angeblich ein künstliches Staatsgebilde geschaffen hat, wird genauso verantwortlich gemacht wie entweder zu viel westliches Engagement (Bushs Irak-Krieg) oder zu wenig (Saddam Hussein 1991 nach dem Kuweit-Krieg nicht gleich gestürzt zu haben oder Obamas Irakvergessenheit nach dem Rückzug von 2011). Das Problem dieser Analysen: sie drehen sich immer nur um uns.

Das ist einerseits paternalistisch und auch ein wenig rassistisch, weil wir die dortigen Völker nicht als Autoren ihrer eigenen Geschichte begreifen. Es  verdeckt aber vor allem die hausgemachten Probleme der Region.

Tatsächlich leidet der Irak an der Unfähigkeit nahöstlicher Gesellschaften, Pluralität zu ertragen und zu organisieren. Viele Staaten der Region funktionieren nach dem Prinzip „the winner takes it all”. Wenn eine Gruppe an die Macht kommt, beutet sie den Staat aus allein zugunsten der eigenen Klientel und versucht, die anderen von Macht und Pfründen fern zu halten.

Das war das Herrschaftsprinzip des sunnitischen Diktators Saddam Hussein, dessen brutalste Unterdrückung von Schiiten und Kurden jenen Hass säte, der das Land heute nicht zur Ruhe kommen lässt. Auf diesem Prinzip beruht auch die Herrschaft von Assads Alawiten, die Syrien in den Bürgerkrieg führte und den sunnitischen Extremismus nährte, der nun den Irak überrennt. Dort haben die unter Saddam unterdrückten Schiiten und ihr Premier Nuri al-Maliki das sektiererische Prinzip ebenfalls nie überwunden. Weil sie Regierung, Verwaltung und Armee von Sunniten gesäubert haben, gibt es nun viele sunnitische Stämme und andere Zukurzgekommene, die sich der radikalen Isis angeschlossen haben.

Natürlich hätte auch Amerika Fehler vermeiden können. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Präsident, der im syrischen Bürgerkrieg nicht intervenieren wollte, um einen zweiten Irak in Syrien zu vermeiden, nun wegen Syrien einen zweiten Irak im Irak bekommt. Andererseits haben die Amerikaner al-Maliki seit Jahren gewarnt, dass seine sektiererische Politik das Land zur Explosion bringen könnte, aber er wollte ja nicht hören. Nun wird der Westen schon aus Eigeninteresse helfen müssen, Isis einzudämmen. Wir sollten uns aber nichts vormachen: wenn die maßgeblichen regionalen Akteure einen 30-jährigen Krieg wollen, dann wird es ihn auch geben. Und verantwortlich dafür ist nicht in erster Linie der Westen, sondern die, die sektiererischen Hass immer wieder neu aufputschen und instrumentalisieren.

P.S.: Nachtrag zu Sykes-Picot. Es ist zwar richtig, dass Franzosen und Briten den Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg aufgeteilt haben und die modernen Staatsgrenzen zogen. Es ist aber gänzlich falsch zu behaupten, der Irak sei ein künstliches Gebilde. Tatsächlich bildete Mesopotamien schon seit der Frühzeit eine geographische Einheit.  Und mindestens seit der Antike, etwa in den vergangenen 2500 Jahren,  hat das Gebiet, in dem heute Schiiten, Kurden und Sunniten und viele kleine Minderheiten leben, fast immer zu derselben politischen Entität gehört, wenn auch nicht immer in exakt denselben Grenzen.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

Nur schlechte Optionen für Obama in Syrien

Nur schlechte Optionen für Obama in Syrien

In den vergangenen Tagen hat US-Präsident Barack Obama reichlich Kritik einstecken müssen, seit er auf einer Pressekonferenz freimütig eingestanden hatte, er habe „noch keine Strategie“ für den Kampf gegen die Terrororganisation IS auf syrischem Territorium. Sie kam nicht nur von den üblichen Verdächtigen, wie etwa den republikanischen Falken John McCain und Lindsey Graham, die dem Präsidenten in einem Meinungsstück vorwarfen, gefährlich viel Zeit im Kampf gegen die wachsende Terrorgefahr zu verlieren, die nicht nur im Irak, sondern auch auf syrischem Boden bekämpft werden müsse. Auch Obamas demokratischen Parteikollegen fällt es zunehmend schwer, die zögerliche, vor allem reaktive Außenpolitik ihres Präsidenten zu verteidigen.

Die angesehene Senatorin Dianne Feinstein, Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, meinte in einer Talkshow, Obama sei ja bekannt dafür, sehr vorsichtig zu sein. In diesem Falle sei er aber „zu vorsichtig“.

Wir gefährlich es sein kann, Isis ein riesiges, sich zwischen Syrien und dem Irak erstreckendes Territorium als Operationsbasis zu überlassen, führte dieser Tage ein exklusiver Fund von Reportern des Magazins „Foreign Policy“ vor Augen. Die haben in der syrischen Provinz Provinz Idlib, nahe der türkischen Grenze, den Inhalt eines „Endzeit-Laptops“ kopieren können, das IS-Leute nach Kämpfen mit moderaten syrischen Rebellen zurückgelassen hatten. Auf dem Computer fanden sich 146 Gigabyte Material für den Heiligen Krieg. Darunter auch Dokumente, die zeigen, dass der Besitzer, ein tunesischer Student der Physik und Chemie, versucht hat, sich selbst über Herstellung und Umgang mit biologischen Waffen zu schulen.

Ein 19-Seiten-Dokument in Arabisch beschreibt, wie man biologische Waffen herstellt und wie man die Erreger der Beulenpest von infizierten Tieren waffenfähig macht. Es ist unwahrscheinlich, dass die IS-Terroristen schon über diese Fähigkeiten verfügen. Aber die von ihnen beherrschte Universitätsstadt Mosul im Irak und auch Raqqa in Syrien verfügen über Laboratorien, in denen Islamisten aus der ganzen Welt an solchen Waffen forschen könnten, wenn man ihnen die Zeit dazu lässt. „Benutze kleine Granaten mit dem Virus und werfe sie in geschlossene Gebäude wie Metro-Stationen, Fußballstadien oder Vergnügungszentren“ heißt es in dem Dokument. „Am besten nahe einer Klimaanlage. Man kann das auch für Selbstmordattentate benutzen“.

Das Problem drängt also. Und doch hat Obamas Zögerlichkeit eine nachvollziehbaren Hintergrund. Es herrscht weitgehend Konsens in den USA, dass man nicht erneut mit Bodentruppen in einem arabischen Land kämpfen will. Allein mit Luftschlägen lässt sich IS aber auch nicht besiegen. Was also tun?

McCain und Lindsey schlagen eine Strategie vor wie die, mit der die USA nach 9/11 die Taliban in Afghanistan besiegt hatten. Damals fungierte die Nordallianz als Bodentruppen der USA. US-Spezialkräfte begleiteten die Kämpfer der Nordallianz auf Pferden (eindringlich beschrieben von Doug Stanton in seinem Buch „Horse Soldiers“), um beratend zur Seite zu stehen, amerikanische Luftangriffe zu koordinieren und Ziele für die US-Piloten zu markieren. Das könnte in Teilen des Iraks funktionieren, wo die kurdischen Peschmerga im Norden und eine wieder funktionstüchtig gemachte irakische Armee im Süden den Kampf gegen IS auf dem Boden vorantreiben könnten, unterstützt von amerikanischen Luftschlägen.

In Syrien ist das schon sehr viel schwieriger. Man will sich einerseits nicht mit dem mörderischen Assad-Regime ins Bett legen, das IS erst stark gemacht hat. Dessen Armee aber sicher in der Lage wäre, die Terroristen zurückzudrängen und eroberte Gebiete zu halten. Ob jedoch die moderaten Rebellen in der Lage wären, den Kampf gegen IS in Syrien zu bestehen, ist fraglich. Laut Medienberichten haben die Amerikaner es inzwischen aufgegeben, mit der offiziellen militärische Führung der zersplitterten Rebellen zu arbeiten, sondern sie unterstützen die einzelnen regionalen Milizen mit Waffen, Ausbildern und Militärberatern. Ob das ausreichen wird, die moderaten Rebellen zu stabilisieren und zur „Nordallianz“ zu machen, die zusammen mit der US-Luftwaffe IS besiegen kann, ist fraglich.

Im Irak, wo die Luftangriffe der Amerikaner schon begonnen haben, stellt sich dazu das Problem der „falschen Freunde“.Das wurde gerade beim Kampf um die belagerte Turkmenensiedlung Amerli sichtbar. Faktisch kämpften die Amerikaner dort an der Seite schiitischer, vom Iran unterstützen Milizen, um die schiitischen Turkmenen vor den sunnitischen IS-Radikalen zu schützen. Sogar iranische Militärberater sollen vor Ort gesehen worden sein. Ex-General David Petraeus, der einst die Surge-Strategie entworfen hatte, mit der es den Amerikanern gelang, den Irak zu befrieden, hat schon vor Monaten vor solch verhängnisvollen Allianzen gewarnt. „Es kann nicht darum gehen, dass die USA die Luftwaffe für schiitische Milizen im Kampf zwischen Schiiten und Sunniten spielen“, sagte er auf einer Sicheheitskonferenz in London.

Iran und die schiitischen Milizen stehen für eine sektiererische Politik im Irak, die alle Macht in den Händen der Schiiten konzentrieren will. Es war genau diese von Ex-Premier Nuri al-Maliki betriebene Politik, die frustrierte Sunniten dazu gebracht hat, den Siegeslauf von  IS im Nordirak zu unterstützen.

Ein hoher Regierungsbeamter bemühte sich deshalb zu versichern, man habe sich beim Kampf um Amerli mit der irakischen Armee und den Kurden, nicht jedoch mit den schiitischen Milizen koordiniert. Das habe die irakische Armee übernommen. Das Problem ist natürlich, dass diese schon längst keine überkonfessionelle Institution mehr ist, seit der sektiererische, inzwischen abgelöste Premier Nuri al-Maliki das Militär von Sunniten gesäubert hat.

Der US-Präsident muss sich vorwerfen lassen, durch den voreiligen Abzug aus dem Irak und zu geringen Widerstand gegen Malikis antisunnitische Politik mit zur desolaten Lage im Zweistromland beigetragen zu haben. Und Obamas Zögerlichkeit am Anfang des syrischen Bürgerkriegs, die moderaten Kräfte zu unterstützen, hat den kometenhaften Aufstieg des „islamischen Staats“ ebenfalls begünstigt. Nun sind die Probleme zu solch einem undurchdringlichen Geflecht angewachsen, dass es verständlich erscheinen mag, wenn der Präsident „noch keine Strategie“ gegen Isis hat.

Nur ist das eben etwas, was man privat vielleicht denken kann, aber doch nicht öffentlich sagt, seufzt Kolumnist Frank Bruni in der linksliberalen New York Times. „Das gibt den Amerikanern kein gutes Gefühl und es hilft auch nicht, unsere Feinde mit Schrecken zu erfüllen.“ Der Präsident habe eine seltsame Sprache der Zurückgenommenheit entwickelt, mit defätistischen Untertönen. „Das ist nicht die Botschaft, die die einsame globale Supermacht artikulieren und verbreiten sollte“, so Bruni. Vor der ganzen Welt den Eindruck von Ratlosigkeit und Schwäche zu vermitteln, erschwert die Arbeit einer globalen Ordnungsmacht jedenfalls nur, anstatt sie zu befördern.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

Abschied von der Obama-Doktrin

Abschied von der Obama-Doktrin

Nun führt Amerika also erneut einen Krieg im Irak. Barack Obama würde es natürlich nie so nennen, schließlich will er als der Präsident gelten, der George W. Bushs Krieg im Zweistromland beendet hat. Und es handelt sich auch um keinen klassischen Krieg mit US-Bodentruppen, die Territorien erobern und sichern. Ein Krieg ist es aber doch. Er wird dem ähneln, den die Amerikaner zusammen mit der Nordallianz führten, um die Taliban nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aus Afghanistan zu vertreiben. Damals fungierte die Nordallianz als Bodentruppen der Amerikaner. Die schickten zunächst vor allem Spezialtruppen und Berater ins Feld, um Ziele zu markieren und amerikanische Luftangriffe mit der vorrückenden Nordallianz zu koordinieren.

Die Frage ist, ob solch eine Strategie im komplizierten Konflikt-Geflecht im Irak und in Syrien Erfolg haben kann. Denn wer den Bodenkampf outsourced, wird zum Gefangenen der Interessen anderer. Die Kurden wollen vor allem ihr eigenes Gebiet sichern. Iraks Armee verfolgt eine eigene schiitisch-sektiererische Logik, zusammen mit den schiitischen Milizen. Und die sunnitischen Stämme, die Obama gegen die Extremisten mobilisieren will, sind schon einmal von der Regierung in Bagdad hinters Licht geführt worden. Die Lage in Syrien ist noch desolater, wo die moderate Opposition jahrelag mangels Unterstützung aus dem Westen zwischen den Assad-Truppen und den radikalen Islamisten aufgerieben wurde. Obamas neue Strategie baut also auf vielen Hoffnungswerten auf. Sie ist vor allem von taktischen, innenpolitischen Erwägungen getrieben. Obama musste endlich ein Konzept vorlegen für den Kampf gegen IS. Er will aber nichts tun, was seinen Ruf als Abwickler von Kriegen in Frage stellt. Herausgekommen ist dabei ein Kompromiss, der als hochgestufte Anti-Terror-Operation verkauft wird. Zuviel für eine Niederlage gegen IS und wahrscheinlich zu wenig für einen Sieg gegen die Terroristen.

Das Problem mit Obamas Außenpolitik ist, dass sie weitgehend aus einer negativen Selbstbeschreibung erwächst. Er war angetreten, die Fehler von Bush nicht zu wiederholen, der Amerika in zwei lange und kostspielige Kriege verwickelt hat. Noch in seiner letzten außenpolitischen Grundsatzrede im Mai hat Obama all jene, die nach mehr Führung Amerikas in der Welt verlangten implizit als interventionssüchtige Kriegstreiber beschrieben. Ganz so, als gäbe es in der Außenpolitik nur zwei mögliche Handlungsmuster, Überreaktion à la Bush im Irak oder weitgehend Raushalten à la Obama – und nichts dazwischen.

Alles, was nicht in das Narrativ dieser Regierung passte, wurde verdrängt. Im Jahr 2011 hatte Obama den endgültigen Abzug Amerikas aus dem Irak mit den Worten verkündet, man hinterlasse ein „souveränes, stabiles und selbstständiges Land“ mit einer „repräsentativen Regierung“. Als die New York Times 2012 einen Artikel veröffentlichte über wieder steigenden Opferzahlen im Irak, basierend auf UN-Zahlen, musste sich der Baghdad-Korrespondent des Blattes ein wütendes Dementi anhören aus dem Büro von Vizepräsident Joe Biden.

Auch als immer deutlicher wurde, dass der schiitische Premier Militär und Verwaltung von Sunniten säuberte, wollte man im US-Außenministerium davon nichts wissen. Und als der IS Ende des vergangenen Jahres schon Faludscha eingenommen hatte, das US-Soldaten Ende 2004 unter hohem Blutzoll von radikalen Islamisten befreit hatte, spielte der Präsident die Gefahr in einem Interview mit dem New Yorker noch herunter. IS sei ein Nachwuchsteam, meinte Obama verächtlich. Inzwischen glaubt jedoch selbst sein Verteidigungsminister, dass dieses „Nachwuchsteam“ die gefährlichste Terrorgruppe ist, die die Welt je gesehen hat.

Solche Realitätsverweigerung erinnert an Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der nach der Invasion im Irak und dem Beginn des Bürgerkriegs noch lange behauptete, es sei doch alles in Ordnung im Zweistromland. Da starben jeden Tag schon dutzende Menschen in den sektiererischen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten. Rumsfeld musste erst gefeuert werden, um den Weg frei zu machen für einen neuen Kurs im Irak.

Die Regierung Obama ist über die Jahre eine zunehmend insuläre Veranstaltung geworden. Am Anfang der ersten Amtszeit war das noch anders, da gab es starke Persönlichkeiten im Kabinett mit eigenen Ansichten. Es wurden gar Vergleiche gezogen zu Abraham Lincoln’s berühmten „Team von Rivalen“. Inzwischen ist daraus ein Team weitgehend Gleichgesinnter geworden. Und viele, selbst Obama zugeneigte Kommentatoren, ziehen schon unvorteilhafte Vergleiche zu George W. Bush. Der habe in seiner ersten Amtszeit zwar viele Fehler gemacht, habe diese aber in der zweiten Amtszeit wenigstens deutlich korrigiert mit einem kraftvollen Team und sehr viel persönlichem Engagement. Das sei bisher bei Obama anders gewesen. „Es ist schwer, sich an einen Präsidenten der jüngeren Geschichte zu erinnern, der im Amt so wenig gewachsen ist”, meint etwa David Rothkopf, Chefredakteur des angesehenen Außenpolitikmagazins „Foreign Policy“.

Mit dem erneuten militärischen Engagment im Nahen Osten verabschiedet sich Obama nun stillschweigend von der Obama-Doktrin. Die basierte auf der Annahme, dass Bush das grundlegende Problem amerikanischen Engagements in der Welt sei. Wenn Amerika sich nur zurücknähme und ein weniger aggressive Außenpolitik betriebe, dann würde es weniger Anstoß erregen, geringeren Widerstand gegen seine Politik erleben und einen Ausgleich finden können mit problematischen Akteuren in der Welt. Ein fast schon europäisch anmutendes Missverständnis.

Denn die Schurken dieser Welt – von Assad in Syrien, Putin in Russland, dem neuen Kim in Nordkorea bis zum Kalifen von Mosul – haben eben keine Polit-Seminare bei Soft-Power-Guru Joseph Nye in Harvard belegt, sondern sie glauben weiter an die klassische Hard Power. Und wenn Amerika diesen Teil seines außenpolitischen Instrumentariums zurückfährt, dann testen sie aus, was geht. Und die aus den Fugen geratene Ordnung dann wieder aufzurichten ist in der Regel kostspieliger, als es frühzeitiges und beständiges Engagement gewesen wäre. Siehe Syrien und Irak.

Eine liberale und stabile Weltordnung zu bewahren, bedarf der ständigen Anstrengung, um sie gegen autoritäre und Unordnung säende Akteure zu verteidigen. Und wenn Amerika das nicht übernimmt, dann wird es auch kein anderes Land tun. Es gehört zur einsamen Bürde einer Supermacht, dabei auch Fehler zu begehen, die heftig kritisiert werden, und nicht einmal dort Lob zu ernten, wo man eine positive Rolle spielt. Aber wer hat schon behauptet, die Welt sei eine faire Veranstaltung? Obama muss nun im Irak und in Syrien mehr investieren. Nicht, weil er es gerne möchte. Sondern weil es der Rolle entspricht, die Amerika spielen muss, wenn es das Feld nicht anderen, sehr viel weniger gutartigen Spielern überlassen will.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

CIA und IS: Obama betreibt Geschichtsklitterung

CIA und IS: Obama betreibt Geschichtsklitterung

Was US-Präsident Barack Obama in einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender CBS gesagt hat, kommt einer Ohrfeige gleich für die US-Geheimdienste. Die USA hätten die IS-Terroristen unterschätzt, sagte der Präsident. Und er zeigte mit dem Finger auf den Nationalen Geheimdienstdirektor James Clapper als einer derjenigen, der das selbst zugegeben habe. Außerdem machte Obama den inzwischen abgelösten irakischen Premierministers Nuri al-Maliki für das Chaos im Irak und das schnelle Vordringen von IS dort verantwortlich. Beides sind offenbar Versuche, die Schuld für das, was in Syrien und Irak passiert ist auf andere abzuwälzen und weit wegzuhalten vom Weißen Haus und dem Präsidenten, der sich sehr lange Zeit ließ, bis er eine Strategie für das Vorgehen gegen IS entwickelt hatte. Wie die New York Times etwas spitz anmerkte, erwähnte Obama keine Einschätzungsfehler, die er etwa selbst in dieser Frage begangen hat.

“Der Kopf unserer Geheimdienste, Jim Clapper, hat das eingestanden, denke ich, dass sie unterschätzt haben, was dort in Syrien stattfand”, sagte Obama in dem CBS-Interview. Tatsächlich waren die Aussagen von Clapper etwas differenzierter als das, was der Präsident nun daraus macht. In einem Interview mit David Ignatius von der Washington Post hatte Clapper gesagt, dass seine Analysten sowohl den Aufstieg der Gruppe als auch ihre Kühnheit und ihre Fähigkeiten richtig eingeschätzt hätten genauso wie die Schwäche des irakischen Militärs. Sie hätten allerdings den Kampfeswillen von IS unterschätzt und die Kampfkraft der irakischen Armee überschätzt.

Spätestens seit der Einnahme der irakischen Stadt Faludschah Anfang 2014 haben jedoch alle Alarmglocken in der amerikanischen Sicherheitscommunity geläutet. Und die Dienste haben das auch in öffentlichen Anhörungen allen gesagt, die es hören wollten. So sagte der damalige DIA-Direktor Michael Flynn im Februar vor dem Geheimdienstkomittee von Senat und Abgeordnetenhaus voraus, dass IS “wahrscheinlich versuchen wird, Territorien in Syrien und Irak einzunehmen, um im Jahr 2014 seine Stärke zu beweisen”. Auch Clapper selbst und CIA-Direktor John Brennan warnten damals vor IS. Schwer vorstellbar, dass diese Analysen seit Anfang des Jahres nicht auch in die Lageberichte einflossen, die der Präsident täglich auf den Tisch bekommt.

Aber nachdem Obama sich jahrelang als derjenige feiern ließ, der den Krieg im Irak beendet hatte und den Irakern ihr Land in einem anständigen Zustand übergeben hatte, tat man sich in der politischen Führung ganz offenbar schwer, die neuen Realitäten anzuerkennen. Und so war es auch Obama und nicht etwa Geheimdienstdirektor Clapper, der in einem Interview mit dem New Yorker von IS noch als „Juniorteam“ sprach, als die Terroristen schon Faludschah eingenommen und damit einen Beweis ihrer Fähigkeiten erbracht hatten.

Einige in der Geheimdienstcommunity wollen die jüngsten Aussagen Obamas denn auch so nicht stehen lassen. So zitiert der sicherheitspolitische Experte des „Daily Beast“ einen ehemaligen hohen Pentagon-Mitarbeiter, der mit dem IS-Dossier befasst war, mit den Worten: “Entweder liest der Präsident die Geheimdienstberichte nicht, die er bekommt, oder er erzählt Mist.“ Man wird in den kommenden Tagen sehen, ob die Dienste diese einseitige Schuldzuweisung Obamas auf sich sitzen lassen werden.

In mancher Hinsicht problematisch sind auch die Aussagen des Präsidenten zur Maliki-Regierung. Experten sind sich heute weitgehend einig in der Analyse, dass der ehemalige irakische Premier mit seiner einseitigen Politik zugunsten der Schiiten alles getan hat, um die Sunniten vor den Kopf zu stoßen und in die Arme von IS zu treiben. Fähige Sunniten aus der Armee zu entfernen und die unter Maliki wuchernde Korruption in allen Regierungsteilen hat die Schlagkraft der irakischen Armee auch entscheidend geschwächt. Viele Einheiten bestanden nur auf dem Papier, weil sich deren Kommandeure den Sold der Soldaten in die eigenen Taschen steckten. Die niedrige Moral der Truppe zeigte sich dann, als man IS die wichtige nordirakische Stadt Mosul fast kampflos überließ.

Obama hat also sicher Recht, wenn er Maliki die Hauptschuld gibt am derzeitigen Zustand des Irak und an den Schwächen, die sich im Kampf gegen IS gezeigt haben. Er verschweigt jedoch, welchen Anteil seine eigene Regierung hatte an dieser Entwicklung.

Irak-Kenner Dexter Filkins hat im „New Yorker“ in einer akribischen Recherche rekonstruiert, wie es zur zweiten Amtszeit Malikis kam, obwohl er im Jahr 2010 die Wahlen gegen das säkulare, pro-westliche Bündnis von Iyad Allawi verloren hatte. Die Obama-Regierung hatte damals schon die Ausgangstür aus dem Irak im Blick und kaum mehr Lust, sich den Manipulationen des Irans entgegenzustellen, der den Schiiten Maliki erneut zum Premier machen wollte.

Ein US-Diplomat in Bagdad trat damals aus Protest zurück, weil die Obama-Regierung Teheran quasi widerstandslos den Irak überließ, nach all dem Blutzoll, den man bezahlt hatte, um das Land zu stabilisieren. Wenn aber Amerika den Einfluss Irans nicht mehr ausbalancierte, machte es damit aber auch den Weg frei für die von Teheran gewollte Forcierung der antisunnitischen Politik Malikis, die manche Sunniten dann empfänglich machte für die Botschaft des radikal-sunnitischen IS.

Die Obama-Regierung wehrte sich damals weder gegen offensichtliche Verfassungsverstöße Malikis noch gegen die antisunnitischen Säuberungen von Militär und Verwaltung. Und nachdem sie im Jahr 2011 alle US-Truppen abgezogen hatte, wollte man auch lange nicht wahrhaben, dass das Land sich erneut auf einer abschüssigen Bahn befand.

Wenn Journalisten wie New-York-Times-Korrespondent Tim Arango in Artikeln auf die sich verschlechternde Sicherheitslage im Irak hinwiesen, mussten sie mit wütenden Anrufen etwa aus dem Büro von Vize-Präsident Joe Biden rechnen. „Als die amerikanischen Truppen Ende 2011 das Land verließen, versuchte Obama, das als Sieg zu verkaufen“, sagte Arango dem „National Public Radio“. „Und ab Anfang 2012 gingen sie aggressiver vor gegen negative Artikel über die Lage im Irak. Manchmal war es atemberaubend, wie weit sie gingen, um die Wahrheit zu verschleiern.“

Es gibt also sehr viele Indizien dafür, dass die politische Führung in Washington versuchte, IS und die Probleme im Irak so lange zu ignorieren, bis es gar nicht mehr anders ging. Weil ein Eingeständnis der katastrophalen Lage im Irak das Narrativ bedrohte, wonach Obama den „falschen Krieg“ im Irak zu einem guten Ende gebracht hatte. Der Aspekt der innenpolitischen „Verkaufe“ überwog also lange Zeit gegenüber der Notwendigkeit, ein entstehendes strategisches Desaster im Nahen Osten abzuwenden.

Das nun allein den Geheimdiensten in die Schuhe zu schieben, wie es Barack Obama im CBS-Interview tat, erscheint angesichts dieser Vorgeschichte als gewagtes Manöver.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

Schwächerer Obama, stärkere US-Außenpolitik?

Schwächerer Obama, stärkere US-Außenpolitik?

Wenn Barack Obama am Montag in Peking eintrifft zu seiner ersten Auslandsreise nach den verlorenen Mid-Term-Elections, dann reist eine Frage mit ihm, die sich viele in der Welt stellen: Ist der Präsident so geschwächt, dass es auch seine Stellung im Ausland und die Wirksamkeit der amerikanischen Außenpolitik in Mitleidenschaft zieht? Schon bevor der Präsident den Senat an die Republikaner verlor, war Amerika von der Ukraine über Irak/Syrien bis zum südchinesischen Meer mit Herausforderungen konfrontiert, die sich zum Teil aus Obamas Fehlern oder der Wahrnehmung amerikanischer Führungsschwäche ergeben hatten. Kann es einem im Innern gelähmten Präsidenten nun in den letzten zwei Jahren noch gelingen, in der Außenpolitik neue Akzente zu setzen und ein positives Erbe aufzubauen?

Tatsächlich wird man Barack Obama in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit wohl öfter irgendwo in der Welt antreffen als in den sechs Jahren zuvor. Es hat sich jedenfalls auch bis nach Peking herumgesprochen, dass Lame Duck Präsidenten, die nach sechs Jahren im Amt wichtige Wahlen verlieren, sich zum Ende ihrer Präsidentschaft vornehmlich auf die Außenpolitik verlegen. Denn in keinem anderen Feld hat der Präsident so viele Möglichkeiten, einen eigenen Kurs auch ohne Zustimmung des Parlaments zu markieren. Ronald Reagan etwa hat nach verlorenen Zwischenwahlen noch wichtige Abrüstungsverträge mit Moskau ausgehandelt in der Spätphase der Sowjetunion.

Gemeinsamkeiten mit Republikanern bei Freihandelsabkommen mit Europa und Asien

Es gibt auch Politikfelder, in denen Obama durchaus auf die Zustimmung der Republikaner hoffen kann. Etwa bei den angestrebten Freihandelsabkommen mit asiatischen Staaten (TPP) und mit der EU (TTIP). In diesem Bereich waren es die eigenen freihandelsskeptischen Demokraten, die den Präsidenten zuletzt ausgebremst hatten. Im Januar hatte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, Obama die so genannte fast track authority verweigert, die es dem Präsidenten ermöglicht, ein internationales Handelsabkommen auszuverhandeln und dem Parlament dann als Paket vorzulegen.

Die Republikaner stehen dem Freihandel weit aufgeschlossener gegenüber als Obamas Demokraten. Der Präsident hatte diesen Bereich nach der Niederlage als einen herausgestrichen, wo es „eine echte Chance zur Kooperation“ gäbe, und auch der designierte neue republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, gab zu Protokoll, „ich habe eine Menge Senatsmitglieder die glauben, dass internationale Handelsabkommen im Interesse Amerikas sind“. Manche Beobachter meinen jedoch, dass es dafür nur ein Zeitfenster von etwa einem Jahr gibt, bis die innerparteilichen Wahlkämpfe für die Kandidatur um das Weiße Haus beginnen.

Unterstützung des Kongresses für Kampf gegen IS

Obama wird auch auf Unterstützung des Kongresses überall dort hoffen können, wo er Kurskorrekturen hin zu einer wieder muskulöseren amerikanischen Außenpolitik unternimmt. Die Bedrohung durch die Terrorbewegung IS scheint jedenfalls den isolationistisch gestimmten Teil der Tea-Party-Bewegung erst einmal zum Verstummen gebracht zu haben. Selbst der libertäre und als Isolationist bekannte mögliche Präsidentschaftskandidat Rand Paul spricht sich inzwischen für Luftangriffe gegen IS im Irak und in Syrien aus.

Es wird erwartet, dass der republikanische Falke John McCain zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Senat wird. McCain hat in der Vergangenheit für mehr amerikanisches Engagement in Syrien geworben, etwa auch für die Einrichtung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium im Norden, an der Grenze zur Türkei, um die syrische Opposition vor Luftangriffen des Assad-Regimes zu schützen. Die Obama-Regierung hat die moderate syrische Opposition bisher allein im Kampf gegen die Extremisten von IS unterstützt, jedoch keinerlei Anstalten unternommen, dieser Opposition auch in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime beizustehen.

Tatsächlich hat Assad bisher am meisten von den Luftschlägen gegen IS-Stellungen in Syrien profitiert. Kurz vor den Wahlen berichteten amerikanische Medien von einem geheimen Memo von Verteidigungsminister Chuck Hagel an die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice, in dem Hagel gefordert hat, das Weiße Haus müsse endlich seine Haltung gegenüber dem Assad-Regime klären, wenn es seine Anti-IS-Strategie nicht gefährden wolle. Der republikanische Übernahme des Senats könnte diesen Klärungsprozess nun beschleunigen.

Obama hat den Kongress nach der verlorenen Wahl jedenfalls um eine formale Autorisierung des militärischen Kampfes gegen IS in Irak und Syrien gebeten. Bisher hat die Regierung die Militärschläge mit einer Autorisierung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen al-Qaida aus dem Jahr 2001 gerechtfertigt. Die Republikaner stehen mehrheitlich hinter den Luftangriffen. Der Kongress hat bisher aber wenig Interesse gezeigt, sich vom Weißen Haus in Mitverantwortung nehmen zu lassen für die gegenwärtige Anti-IS-Strategie. Nun müssen die Abgeordneten jedoch Farbe bekennen. „Im Prinzip sollte es nicht schwer sein, eine große überparteiliche Mehrheit hinter dem Ziel zu versammeln, den IS zu zerstören“, schreibt die „Washington Post“ am Sonntag in einem Leitartikel. „Aber die spezifischen Formulierungen der Gesetzgebung könnte lähmenden Streitigkeiten hervorbringen.“ Unter anderem innerhalb der republikanischen Partei selbst.

Panzerbrechende Waffen für die Regierung in Kiew?

Im Ukraine-Konflikt drängen nicht nur führende republikanische Außenpolitiker auf eine härtere Haltung gegenüber Moskau. Im September hatten Demokraten und Republikaner des Außenpolitischen Ausschusses im Senat 350 Millionen Dollar (etwa 280 Millionen Euro) gebilligt, um der ukrainischen Armee panzerbrechende Waffen, Drohnen und Munition zur Verfügung zu stellen. Bisher hat die Obama-Regierung sich jedoch nicht zu solchen Maßnahmen durchringen können. Angesichts der derzeit wieder zunehmenden Intensität russischer Militäraktivitäten innerhalb der Ukraine kommt die Obama-Regierung unter Druck, mehr zu tun. Je deutlicher die russischen Provokationen den Charakter eines neuen Kalten Krieges mit dem Westen annehmen, desto lauter werden die Rufe aus dem Kongress werden, eine entschlossenere Eindämmungspolitik gegenüber Moskau zu betreiben.

Ein Iran-Deal am Kongress vorbei

Das größte Konfliktpotenzial birgt aber zweifelsohne das Thema Iran. Die Obama-Regierung befindet sich derzeit in der Endphase der Verhandlungen mit Teheran, die bis zum 24. November abgeschlossen sein sollen. Noch ist unklar, ob es überhaupt zu einem Abkommen kommen wird, oder ob die Verhandlungen möglicherweise verlängert werden. Das Wall Street Journal hatte vor einigen Tagen über einen Brief Obamas an Irans Revolutionsführer Ali Khamenei berichtet, in dem der Präsident um ein Abkommen wirbt und im Falle einer Einigung eine Kooperation Amerikas mit dem Iran im Kampf gegen die sunnitischen Extremisten von IS anbietet. Im Kongress herrschte schon vor den Wahlen eine große überparteiliche Skepsis gegenüber dem Iran und die Befürchtung, die Regierung könnte Teheran zu weit entgegenkommen. Nur intensives Lobbying des Weißen Hauses und von einigen Demokraten im Kongress hatte Anfang des Jahres verhindert, dass Senat und Abgeordnetenhaus schärfere Sanktionen gegenüber Teheran beschließen. Die neuen Mehrheitsverhältnisse haben die Iran-Skepsis im Parlament noch verstärkt.

Aus dem Weißen Haus war in den vergangenen Wochen deshalb durchgesickert, dass der Präsident nicht die Zustimmung des Parlaments für ein Abkommen suchen, sondern die vom Kongress beschlossenen Sanktionen über Jahre hinweg erst einmal mit einer Präsidentenverfügung aussetzen würde. Der Präsident hat den rechtlichen Spielraum, auch ohne Unterstützung des Kongresses ein Nuklearabkommen mit dem Iran zu schließen. Die Frage ist, ob Teheran das Risiko eingehen möchte, sich auf eine Präsidentenverfügung zu verlassen, die das Problem der endgültigen Sanktionsaufhebung an den nächsten Amtsinhaber weitergibt. Nach der Niederlage der Demokraten hieß es in einem Kommentar im iranischen Staatssender Press-TV jedenfalls, „die Rest der Welt hat mit schwerem Herzen und unter Schmerzen den Schluss gezogen, dass seine (Obamas, d. R.) Macht im Schwinden ist.“

Schwächerer Obama, stärkeres Amerika in der Welt?

Die schwindende Macht Obamas, die von den Mullahs offenbar mit so viel Sorge verfolgt wird, erschwert es dem Präsidenten, im Ausland noch als Schwergewicht angesehen zu werden. Das muss aber nicht unbedingt ein schwächeres Amerika bedeuten. Der republikanische Kongress wird jedenfalls versuchen, den Präsidenten überall dort zu entschlossenerem Handeln zu bewegen, wo der große Zauderer sich bisher nur zögerlich engagiert hat. Die Obama-Regierung hat in den vergangenen Monaten den Kurs schon leicht korrigiert und etwa im Kampf gegen IS oder bei der Eindämmung von Ebola in Afrika Führungsstärke gezeigt. Wenn beide politischen Lager in den kommenden zwei Jahren zu der Tradition der Überparteilichkeit in der Außenpolitik zurückfinden, könnte diese Kurskorrektur hin zu mehr Engagement in der Welt zum Merkmal der letzten zwei Obama-Jahre werden.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin


Der Westen braucht einen langen Atem gegen den Terror

Der Westen braucht einen langen Atem gegen den Terror

Es gab da diesen Moment der Hoffnung, dass der Antiterrorkampf nach zehn Jahren seinem Ende entgegengehen könnte. Es war im Mai 2011, als amerikanische Navy Seals Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Abbottabad in Pakistan gestellt und getötet hatten. Schon vor dieser Kommandoaktion hatte die Terrororganisation als geschwächt gegolten, ihre Führungskader waren auf der Flucht und konnten kaum noch miteinander kommunizieren. Das würde al-Qaida den Rest geben, so dachten viele. Wenige Monate zuvor hatten demonstrierende Tunesier zudem ihren Autokraten Zine al-Abidine Ben Ali in die Flucht geschlagen und damit die Botschaft al-Qaidas, wonach die arabischen Potentaten nur mit Gewalt gestürzt werden können, als Lüge entlarvt. Die Idee der friedlichenRevolution hatte die Herzen der arabischen Welt erobert. Schon lange hatten die archaischen Religionskrieger in den pakistanisch-afghanischen Bergen nicht mehr so alt ausgesehen. Zottelbärtige Revoluzzer, die den Zeitpunkt verpasst hatten einen anständigen Beruf zu lernen. „Al-Qaida ist auf dem Weg in die Niederlage“, war eine Formulierung, die Barack Obama in den Folgejahren gerne benutzte.

Vier Jahre später hat sich das Blatt komplett gewendet.

Al-Qaida gibt es noch immer. Aber inzwischen gibt es auch eine noch gefährlichere Konkurrenz. Der aus dem syrischen Bürgerkrieg entstandene Islamische Staat hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Er beherrscht so viel Territorium wie noch keine Terrororganisation vor ihm. Er inspiriert die Fantasie radikaler Muslime weltweit, die noch stets in Scharen in das neue Kalifat pilgern. Viele regionale Gruppen – wie gerade die nigerianische Boko Haram – schließen sich IS an. Ähnliches geschah nach den Anschlägen von 9/11, als viele Gruppen dem damaligen Bannerträger des dschihadistischen Terrorismus, der al-Qaida, Treue geschworen hatten. Noch nie jedoch hat eine Terrororganisation über so viel Geld verfügt wie IS. Und noch nie hatte sie Zugang zu so vielen Kämpfern mit westlichen Pässen und eine so professionelle Medienarbeit. Der islamische Terrorismus destabilisiert inzwischen ein Gebiet, das von Schwarzafrika (Nigeria) über Mali, Libyen, den Nahen und Mittleren Osten bis nach Afghanistan, Pakistan und Südostasien reicht. Und überall versuchen die Radikalen, Machtvakui auszunutzen, um Operationsbasen auszubauen, die als Sprungbrett für weitere Aktionen dienen.

Das Phänomen erscheint inzwischen wie eine Hydra: man schlägt einen Kopf ab, und schon wächst woanders ein neuer nach. Entsprechend pessimistisch sind die obersten Terrorbekämpfer im Westen. Die Trendlinien des Terrorismus seien derzeit schlimmer „als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der Geschichte“, sagte US-Geheimdienstdirektor James Clapper vor kurzem bei einer Anhörung vor dem Kongress. Sein Kollege Michael Morell, ehemaliger stellvertretender Direktor der CIA, meinte auf einer Terrorkonferenz, dass es sich um einen sehr langfristigen Kampf handeln werde. „Die Generation meiner Kinder und die Generation meiner Enkelkinder werden diesen Kampf noch weiter kämpfen“, zitiert ihn die Washington Post. Wie verzweifelt der Westen ist, lässt sich etwa daran ablesen, dass er nun schon eine Allianz mit dem Iran im Kampf gegen IS eingeht. Der Iran ist zwar weltweit der wichtigste staatliche Terrorsponsor. Es ist in der Regel jedoch das andere, schiitisch- islamistische Terrorlager, das Teheran unterstützt. Wobei der Iran auch mal eine Ausnahme macht. Etwa bei der Hamas.

Nun muss also erneut gegen eine sich ausbreitende terroristische Gefahr gekämpft werden. Dabei waren wir dieses Kampfes doch längst müde geworden, noch bevor IS auf der Bildfläche aufgetaucht war. Die Jahrzehnte des Nachkriegsfriedens haben gerade Europa zu einer Weltsicht erzogen, die Ordnung als die Regel und Momente der Unordnung als zeitlich begrenzte Ausnahme ansieht. In der europäischen Öffentlichkeit herrschte stets die Vorstellung, man müsse jetzt nur noch diesen einen Konflikt aushalten oder jene Region befrieden und danach könne man sich wieder in den Sessel behaglichen Wohlbefindens zurücklehnen. Das war bei den Balkankriegen nicht anders als beim Krieg in Afghanistan oder der Intervention in Libyen. Die ausgehölten europäischen Verteidigungshaushalte zeugen davon, dass diese Sicht längst in folgenreiche und gefährliche Politik übersetzt wurde.

Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um ein reichlich unrealistisches Weltbild. Die Geschichte war immer ein Ringen um Ordnung, die stets bedroht und nie letztgültig gesichert war. Außen- und Sicherheitspolitik gleicht der Arbeit von Sisyphos, der den Stein immer wieder neu den Berg hinaufrollt, wohl wissend, dass es auch diesmal nicht zum ewigen Frieden reichen wird. Und das gilt eben auch für den islamischen Terrorismus, der uns noch lange Zeit bedrohen wird, solange die ideologischen Quellen weiter sprudeln, aus denen er sich speist.

Irgendwann wird sich auch diese Ideologie erschöpfen, genauso wie sich der europäische Faschismus und der Sowjetkommunismus erschöpft haben. Aber beide sind erst nach Jahrzehnten erbitterten Widerstandes durch die demokratischen Nationen besiegt worden. Genauso werden wir dem islamischen Terrorismus mit einer hartnäckigen und langfristig angesetzten Eindämmungsstrategie begegnen müssen. Zwar haben die Pessimisten Recht, wenn sie von einer wiedererstarkten und beispiellosen Bedrohung sprechen. Auf der anderen Seite hat der Westen seit 9/11 einiges dazugelernt – was Aufklärung und Überwachung anbelangt, bei der Verfolgung von Finanzströmen und dem Einsatz von Drohnen und anderen zielgerichteten Waffen. Vor allem jedoch sollten wir aus den Fehlern lernen, die jene terroristische Renaissance der vergangenen Jahre erst möglich gemacht haben. Es war ein Irrtum Obamas, US-Truppen gegen den Rat seiner Sicherheitsexperten aus dem Irak zurückzuziehen, bevor das Staatenbildungsprojekt ausreichend stabilisiert war. Genauso wie es falsch war zu glauben, man müsse in Libyen nur Luftangriffe fliegen, um ein Massaker von Diktator Gaddafi zu verhindern, alles andere werde sich dann von selbst richten. Über Jahre mitanzusehen, wie die moderate Opposition in Syrien zermalmt wird zwischen dem von Russland, Hisbollah und Iran unterstützen Assad-Regime auf der einen und von reichen Spendern finanzierten radikalen Islamisten auf der anderen Seite war ebenfalls keine brillante Idee.

In Afghanistan wird sich zeigen, ob wir daraus gelernt haben. Eins jedenfalls sollte klar sein: zu investieren, um einmal gewonnene Stabilität abzusichern, ist weit weniger kostspielig als irgendwann eingreifen zu müssen, wenn die Dinge auseinandergefallen sind und die Radikalen wieder ganze Teile eines Landes beherrschen.

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Macht Deutschland dieselben Fehler wie bei der letzten Einwanderungswelle?

Macht Deutschland dieselben Fehler wie bei der letzten Einwanderungswelle?

Bei der riesigen Aufgabe, vor der Deutschland angesichts der Flüchtlingsströme steht, kann einem durchaus mulmig werden. Es ist zwar richtig, dass Deutschland angesichts seiner Kinderarmut massive Einwanderung braucht, um seine Sozialsysteme zu stützen. Das Problem ist nur: die Eliten in Wirtschaft und Politik haben in der Vergangenheit nicht gerade gezeigt, dass sie solche Einwanderung auch gut zu managen wissen. Es gibt also gute Gründe, dem Asylantenansturm skeptisch gegenüberzustehen, ohne dass man deshalb gleich ein Rassist ist.

Den berechtigten Sorgen vieler Bürger wird man jedenfalls nur begegnen können mit einer klaren Vorstellung davon, wie dieser Flüchtlingsstrom sich für Deutschland in eine gute Zukunftsinvestition verwandeln lässt. Und dazu gehört unter anderem, die Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Das ist schlicht eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Natürlich waren die Einwanderungswellen der 50er und 60er Jahre für Deutschland auch eine Bereicherung. Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten bunter geworden und offener für kulturelle Einflüsse von außen. Wir wäre ärmer ohne Politiker wie Cem Özdemir, ohne Intellektuelle wie Hamad Abd-el Samad, Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu oder Schauspielerinnen wie Sibel Kekilli. Aufs große ganze gesehen ist die erste große Einwanderungswelle nach dem zweiten Weltkrieg aber keine Erfolgsgeschichte gewesen, weder in Deutschland noch in Europa. Und das hat sozioökonomische Gründe genauso wie kulturelle.

Im Nachhinein betrachtet war es ein Fehler, im Wirtschaftswunder ungelernte Arbeiter aus den kulturell zurückgebliebendsten Gegenden ums Mittelmeer zu holen und nach Europa zu verfrachten. Das gilt übrigens für die Arbeiter aus der süditalienischen Provinz genauso wie für die aus Anatolien. Denn die Arbeitsplätze, die sie ausfüllten, waren die ersten, die erst der Automatisierung zum Opfer fielen und dann der Auslagerung in Billiglohnländer. Zurück blieb oft ein schlecht ausgebildetes Sozialstaatsproletariat, in dem sich Bildungsferne meist auch in die zweite und dritte Generation vererbte. Das ist in den französischen Banlieus oder in manchen britischen Mittelstädten noch krasser sichtbar als in deutschen Großstadtghettos.

Dazu kommt ein wachsender kultureller Graben. Die eingewanderten Muslime in Europa haben seit den 90er Jahren einen Traditions-Backlash erfahren, der ein Spiegelbild der Re-Islamisierung ist, die muslimische Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten erlebten. Das hat nicht nur die Hürden für die Integration in die europäischen Gesellschaften erhöht, es hat zudem auch ein ernsthaftes Sicherheitsproblem geschaffen. Es ist ja keine Erfindung rechter Spinner, dass die Anschläge von 9/11 in Hamburg-Harburg geplant wurden, dass sich tausende europäischer Dschihadisten nach Syrien und Irak aufgemacht haben, um sich an der islamistischen Revolution gegen den Westen zu beteiligen, und dass die Sicherheitsbehörden nun Angst davor haben, dass die Radikalen sich unter den unkontrolliert nach Europa strömenden Flüchtlingen verstecken, um hier Anschläge zu verüben. Nein, Europa steht nicht kurz vor einer Islamisierung, wie Rechtspopulisten meinen. Aber man sollte auch nicht so tun, als hätte Europa kein Problem mit muslimischen Einwanderern, und sei es nur mit einer Minderheit.

Im Übrigen würde es der gesellschaftlichen Hygiene ganz gut tun, wenn sich all die, die sich in den Medien nun wortmächtig für die großzügige Aufnahme der Asylanten einsetzen – und die allesamt zur akademisch gebildeten Deutungselite im Land gehören – mal ehrlich machen würden in Sachen Klassenzugehörigkeit. Die Anpassungsleistungen, die Einwanderer unserer Gesellschaft abverlangen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend von der Unterschicht erbracht, die mit den Neuankömmlingen um Jobs und Wohnraum konkurrierte, und nicht von der Mittel- und Oberschicht. Die lebt nämlich weiter in ihren weitgehend „weißen“ Wohnvierteln, wo man höchstens mal einem gänzlich akkulturierten iranischen Arzt, europäischen Akademikern oder neureichen Russen begegnet. Ihre Kinder gehen nicht in öffentliche Schulen mit 80 Prozent Ausländeranteil im Wedding oder in Neukölln. Und wenn in der Vergangenheit dann doch mal ein Asylantenheim in einem Reichenviertel in Hamburg oder Düsseldorf gebaut werden sollte, dann schafften es die politisch gut vernetzten Wohlstandsbürger meist, das irgendwie abzuwenden. Da ist es einfach zu sagen, die da unten sollen sich mal nicht so aufregen über die Flüchtlinge.

Richtig ist: wir brauchen Einwanderung. Aber nicht jede Einwanderung, sondern die richtige Einwanderung. Deutschland leistet sich nämlich noch immer eines der dümmsten Einwanderungssysteme, die es gibt. Anders als Staaten wie Kanada wählen wir kaum aus, wen wir reinlassen und wen wir brauchen können. Einwanderung von außerhalb der EU funktioniert noch immer weitgehend über Asylanträge, illegal oder über Familiennachzug. Das bedeutet, wir stellen weder sicher, dass die, die kommen, über ausreichend kulturelles Kapital verfügen, um in einer sich schnell verändernden Wirtschaft bestehen zu können. Noch schauen wir darauf, ob sie auch kulturell kompatibel sind mit unseren Grundwerten.

In den vergangenen Jahren hatten wir Glück, dass es vor allem gut ausgebildete Junge aus Osteuropa und den südeuropäischen Krisenstaaten waren, die es nach Deutschland zog. Die Gefahr besteht jedoch, dass wir mit den Hunderttausenden, die nun vom Balkan und aus der muslimischen Welt nach Deutschland streben, die Fehler der 50er und 60er Jahre wiederholen. Innenminister Thomas De Maizière hat gerade bekannt gegeben, dass sich unter den Flüchtlingen aus dem arabischen Raum 15 bis 20 Prozent Analphabeten befinden. Keine gute Nachricht für eine High-Tech– und Exportgesellschaft wie die deutsche, die im harten internationalen Wettbewerb bestehen muss.

Es ist auch falsch gleich in vorauseilender Selbstaufgabe zu fordern, Deutschland müsse sich ändern. Die Erfahrungen erfolgreicher Einwanderungsgesellschaften wie etwa der USA zeigen, dass Integration dort gelingt, wo Gesellschaften mit starker eigener Identität Anpassungsleistungen vor allem von den Neuankömmlingen verlangen. Wir müssen als Gesellschaft klar machen, dass diejenigen, die aus freien Stücken zu uns kommen, sich unseren Grundwerten anzupassen haben und nicht umgekehrt. Alles andere ist multikulturelle Folklore, die letztlich nur traditionelle Patriarchalstrukturen unter den Neuankömmlingen aus dem Nahen Osten perpetuiert.

Es wäre zudem längst nötig, dass Deutschland Druck aus dem Asylsystem nimmt und ein nach qualitativen und kulturellen Kriterien gestaffeltes Einwanderungssystem schafft. Wir sollten gut ausgebildeten Flüchtlingen genauso den Vorzug geben wie etwa Christen oder anderen verfolgten Minderheiten aus dem Nahen Osten, die in der Regel eine höhere Assimilationsbereitschaft mitbringen.

Ja, die derzeitige Einwanderungswelle kann auch eine Chance für Deutschland sein. Aber nur, wenn die Entscheidungsträger den Bürgern das Gefühl vermitteln, dass sie einen Plan haben, der die Fehler der Vergangenheit vermeidet.

 

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin

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